Am Ende der Welt
Nach dem Aurora-Exzess der letzten Nacht schlafen wir heute länger. Dann sind wir fleißig und schreiben hier weiter.
“Fleißig sein” bedeutet auf dieser Reise:
Sich so dicke Schichten Kleidung anziehen, daß man sich kaum noch die Schuhspikes überziehen kann, weil man sich nicht mehr bücken kann.Kamera-Ausstattung (die früher deutlich schwerer war, aber dank Olympus trotz sehr guter Abdeckung an Objektiven Rücken-freundlich ist) packenDurch die Landschaft diffundieren, per Auto und zu FußKnipsieren was die Akkus hergebenFotos herunterladenFotos bearbeiten mit unterschiedlicher Intensität (siehe Tromsø-Kathedrale)Texte ausdenken, schreiben und Korrektur lesen
Schuhspikes, sehr zu empfehlen
Aber wenn wir nicht hinausgehen, haben wir nichts, worüber wir schreiben können. Also ziehen wir uns wieder warm an und fahren los, ans Ende des Lofoten Highways E10 in einen Ort mit dem superlangen und höchst komplizierten Namen “Å”. Uneineigkeit herrscht, wie dieser Name auszusprechen ist. Die Norweger finden, er spricht sich wie unser “O”, manche von uns finden, er spricht sich wie “A”. Damit keine Konflikte aufkommen, sprechen wir von “Z” oder “Y”. Um die Kürze noch zu unterbieten, wollen wir testweise einen Ort ohne Namen gründen.
Å oder eben auch Y oder Z
Å besteht hauptsächlich aus vielen pittoresken Fischerhütten, wie wir derzeit selbst eine in Sørvågen bewohnen. Es ist zwar schon eher eine der einfacheren Unterkünfte, aber sie ist so behaglich, daß uns das Fleißigsein schwerfällt, da man sie dazu oft verlassen muß und dann fängt es eben wieder an mit dicke Schichten an Kleidung, Kamera-Ausrüstung usw.
Zurück zu Å.
Wir suchen nicht nur Fotomotive, sondern auch einen guten Standplatz für die abendliche Aurora-Jagd. Es reicht ja nicht, einfach nur den Himmel zu fotografieren, es braucht auch einen schönen Vordergrund. Nicht in jedem Land gibt es Vordergrund-Köcherbäume, so daß es hier Landschaft oder Ortschaft sind, die mit Bedacht auszuwählen sind. Dann kommt die Aurora, die ein äußerst zickiges Wesen hat, und wabert in entgegengesetzter Richtung.
Köcherbäume gibt es nicht auf den Lofoten sondern eher in Namibia
Aber Å (oder eben Y oder Z)
Anschließend fahren wir nach Reine, für einen alternativen Jagd-Standplatz. Eine Brücke mit einer wirklich schönen Kulisse wird soeben von einer großen Gruppe Asiaten okkupiert, die so warm eingepackt zu sein scheinen, daß sie vermutlich den Rest des Nachmittags und Abends sich nicht mehr von der Stelle bewegen, um diesen genialen Standort nicht aufzugeben. Sollen wir euch ein paar Handtücher leihen?
In Reine gibt es ein schnuckeliges Café mit sehr leckerem Kaffee und noch leckereren Kuchen. Selbst fleißigen Fotografen ist dies hin und wieder erlaubt.
Café mit Ausblick in Reine
Dann Bilder bearbeiten, einkaufen, Essen gehen (die Norweger können übrigens sehr gut kochen), bereitmachen für die Jagd. Entgegen unserer Erwartung stehen wir alleine auf der Mole. Jippie! Wir sind wärmer eingepackt als sonst, aber dieser Standplatz ist kälter als sonst (obwohl die Temperaturen eher zivilisiert daherkommen) und so sind wir froh, daß wir - Zitat - “von innen brennen”. Nein, es ist kein Alkohol im Spiel, sondern kleine Taschen-Öfchen und Wärmepads auf den Füßen, die aussehen wie - ach lassen wir das, jede/r kann sich hier seine eigene Assoziation überlegen. Auch haben wir Spikes an den Schuhen, weil aus dem Wechselspiel “über Null Grad - unter Null Grad” aus den Wegen eine im Dunkeln unüberwindbare Eisfläche wurde. Und wir können ja nicht überall mit diesem erstaunlichen Geländewagen hinfahren.
Wärmepads auf den Füßen, die aussehen wie ...
Die Aurora-Prognose steht auf “GO”, was bisher ein Garant für ihr Erscheinen war. Aber sie macht es oft spannend und läßt sich Zeit. Heute auch. Als einer von uns sich vorübergehend ins Auto zurückzieht und dabei die Heckklappe betätigt, geht es los. Sie ist heute in ziemlich guter Form, aber auch zu Schabernack aufgelegt, denn das Spiel mit der Heckklappe wiederholt sich mehrmals.
Die Kälte läßt sogar die Fußpads vorzeitig erkalten und so wird auch uns immer kälter. Als auch die Heckklappe eine halbe Stunde lang keine weitere Aurora hervorlockt, beenden wir tiefgefroren die Jagd.
© 2020 Thomas Hieronymi